Ähnlich wie zuletzt 2018 ließ ich mich von einigen ArbeitskollegInnen breitschlagen, aufs WOA mitzukommen. Was noch einige Wochen vorher nach einer netten Idee klang, war nach nur zwei Tagen Pause vom vorangegangenen Headbangers Open Air leider ein ziemlicher Angang. 😅 Während meine letzte Wacken-Stippvisite aus denselben Gründen nämlich nur von Freitag bis Sonntag stattfand, wollte ich mit Blick auf die Running Order diesmal aber das komplette Festival ab Mittwoch mitnehmen. Wenn schon, denn schon!
Kleiner Einschub bevor es richtig losgeht, denn das WOA war natürlich wie immer ausverkauft. Um den florierenden Ticket-Handel bei Ebay & Co. einzudämmen, bot das Festival eine eigene Ticket-Tauschbörse an. Wer zu viele Eintrittskarten hat, kann ein Angebot reinstellen (nur zum Originalpreis, zzgl. Service-Pauschale; macht 259 Euro). Umgekehrt können interessierte Käufer ein Gesuch reinstellen; kommt ein Match zustande, wird das Geld an die WOA-Veranstalter überwiesen, welche den Original-Ticketpreis an den Verkäufer weiterreichen und dafür das (digitale) Ticket dem Käufer zuordnen. Hat alles super funktioniert, allerdings gab es dieses Jahr ein krasses Überangebot an Tickets, so dass die Tickets kurz vorher doch wieder unter der Hand, aber für weit unter Originalpreis, verkauft wurden – ein manuelles Umpersonalisieren des Tickets kann man als Besitzer nämlich auch vornehmen. Wer wollte, konnte hier also noch ein echtes Schnäppchen machen.
Mittwoch
Jedenfalls ging es für uns am Mittwochmorgen um sieben los, um zunächst zu dritt nach Wacken zu starten. Ein weiterer Mitstreiter traf später mit den Öffis ein. Und siehe da, meine HOA-Kumpanen campten ohne weitere Absprachen gerade mal 150 Meter Luftlinie von uns entfernt (und das, obwohl das Camping-Gelände nochmals vergrößert wurde). Beste Startbedingungen also für ein gelungenes Fest!
Nachdem das Lager auf- und die grobe Orientierung hergestellt waren, konnte der musikalische Teil beginnen. Wie schon 2018 spielt nämlich auch heuer schon eine respektable Anzahl an Bands am offiziellen Eröffnungstag. Wer wollte, konnte sich gegen Aufpreis von 69 Euro zudem noch AVANTASIA, EPICA und ähnliche Vertreter im Infield ansehen. Musste ich jetzt nicht haben.
Aber nicht so schnell: zunächst musste das PDF-Ticket natürlich in ein Armband umgetauscht werden, das (neu dieses Jahr) mit einem RFID-Chip zur bargeldlosen Bezahlung versehen ist. Ohne den Chip kann man auf dem gesamten Gelände exakt gar nichts einkaufen, was es ziemlich beschwerlich machte, sich bei über 30 Grad im (nicht vorhandenen) Schatten für zwei Stunden und mehr in die Bändchen-Schlange zu stellen. Sicher nett gemeint waren die Hinweise, reichlich Wasser zu sich zu nehmen (woher?) und die freundlichen Rekrutierer der Bundeswehr besprühten die Wartenden zumindest ab und zu mit kühlem Wasser, aber hier lief irgendwas ziemlich schief.
Nachdem wir endlich zahlungsfähig waren (Kohle konnte entweder kostenlos online oder gegen Gebühr am Terminal vor Ort aufgeladen werden) konnten wir uns einen genaueren Überblick vor Ort verschaffen. Das Festival-Areal ist weiter gewachsen, der Mittelalter-/Wikinger-Bereich („Wackinger“) bietet ein noch größeres Areal mit Bühne und Fressständen, während das große Zirkuszelt dieses Jahr fehlte und W.E.T.- und Headbangers-Stage somit nun ebenfalls unter freiem Himmel stehen.
Beim Essen und Trinken scheiden sich vielleicht die Geister. Den Betreibern fehlen natürlich Einnahmen aus den Corona-Jahren, aber ein Nackensteak im Brötchen für 8,50 Euro, Bratwurst für nen Fünfer und China-Nudeln im zweistelligen Bereich hab ich nicht mal auf der Kieler Woche erlebt. Auf Facebook plauderte ein Budenbetreiber aus, dass satte 30% seiner Einnahmen direkt ans WOA gehen, der Rubel muss eben rollen und die Besucher kaufen trotzdem. Was soll man auch machen bei 30 Minuten und mehr pro Weg zum Zelt?
- Los ging es für uns in Sachen Metal mit der Trümmertruppe INDIAN NIGHTMARE, die in brennender Hitze auf der endzeitlich angehauchten Wasteland-Bühne spielten und sich musikalisch wie optisch bestens einfügten. Das Song-Material im Spannungsdreieck aus Metal, Punk und Stahl funktioniert live immer prächtig und war ein super Start in den offiziellen Teil des Festivals.
- VULTURE schlagen mit ihrem ungehobelten Speed Metal in eine ähnliche Richtung, so dass der überwiegende Anteil des Publikums direkt vor Ort blieb. Top Show mit lässig aufeinander abgestimmten Outfits und (naturgemäß spartanischer) Choreo. Passt!
Donnerstag
Der Donnerstag begann gediegen mit einer ziemlich heißen Dusche (bei der Hitze hätte ich mich über kälteres Wasser gar nicht beschwert) und einem Ausflug ins Dorf. Hier kriegt man für schmaleres Geld etwas Warmes in den Magen und hat natürlich auch die üblichen Supermärkte in Reichweite. Wir gönnten uns noch einen Besuch in der Craftbeer-Brauerei samt Führung, wobei der Fokus eher auf Verkostung lag. Auch okay!
- Musikalisch begann der Tag für uns auf dem proppevollen Gelände der Louder-Bühne (das war früher die „Party-Stage“) mit THUNDERMOTHER. Die Schwedinnen legten sich wie gewohnt kräftig ins Zeug und räumten gut ab. Ich war etwas hin- und hergerissen, denn der eher seichte AC/DC-Rock macht schnell satt – wohl auch weil es momentan kaum eine fleißigere Live-Band aus dem Bereich gibt, was ja eigentlich kein Nachteil sein sollte.
- Überzeugender waren zur besten Kaffeezeit CIRITH UNGOL, die einen schnörkellosen, einstündigen Auftritt mit allen wichtigen Gassenhauern ablieferten. Vom Publikumsandrang her hätte man sicherlich die Bühne mit THUNDERMOTHER tauschen können, denn so richtig voll wurde es vor der Hauptbühne nicht und abgesehen von Neu-Bassist Jarvis Leatherby gab es auch auf der großen Bühne gewohnt wenig Bewegung. Spielte aber alles keine Rolle, top Auftritt, wenn auch mit teils mauem Sound.
- Nur eine Viertelstunde später ging es an der zweiten Hauptbühne nebenan weiter mit GRAVE DIGGER. Die deutsche Heavy-Metal-Institution habe ich mit den Jahren etwas aus den Augen verloren und war nun durchaus gespannt. Überraschend offenbarte der fallende Vorhang zunächst eine riesige Dudelsack-Kapelle und eine kleine Trommelgruppe, die wie zu erwarten zunächst das bekannte Scotland-the-Brave-Intro spielten, gefolgt von In the Dark of the Sun. Überraschend melodisch war auch der Lead-Gesang, bis sich herausstellte dass sich etwas versteckt hinterm Schlagzeug ein zweiter Sänger befand, der in den Refrains für etwas mehr Volumen sorgte. Sowohl die Schottentruppe als auch die drei Trommler standen sich in der folgende Stunde die meiste Zeit ziemlich sinnlos die Beine in den Bauch oder schunkelten mehr oder weniger bemüht mit. Andererseits funktionierten auch die neueren Songs live so gut (Lions of the Sea, Hell is My Purgatory, Highland Farewell), dass mein Fazit letztlich positiv ausfällt.
- Wieder nur fünfzehn Minuten Verschnaufzeit blieben zum Auftritt von Udo DIRKSCHNEIDER, so dass erstmal eine feste Stärkung fällig war. Also nur zur zweiten Hälfte reingeschaut und so gut es ging nach vorne durchgewühlt. So recht voran ging es im dichten Gedränge aber nicht (man will ja auch nicht zu sehr nerven) und so gönnten wir uns die Songs eben von weiter hinten. Die ACCEPT-Klassiker kommen einem natürlich mit den Jahren aus den Ohren wieder raus, machen mir live aber immer wieder Spaß. Udo kann's auch noch und so blieben quasi keine Wünsche offen.
- Darüber dass MERCYFUL FATE und OVERKILL parallel spielen, wurde im Vorfeld herzhaft gestritten. Dass der King sogar auf der großen Bühne auftreten sollte, war natürlich auch eine Ansage. Aber da ja auch ATTIC noch spielen sollten, entschied ich mich doch für das Thrash-Kommando aus New Jersey. :-) Bereut habe ich die Wahl nicht; OVERKILL bespielten die etwas abseits gelegene Louder-Bühne; kein Ton drang von den parallel lärmenden Bands rüber und die Atmosphäre vor der verhältnismäßig kleinen Bühne war sogar etwas intim. Top Auftritt, von mir gibt's nichts zu meckern!
- Auch wenn der Tag gefühlt schon ziemlich lang war, standen jetzt noch JUDAS PRIEST auf der Agenda. Wieder wurde es proppevoll auf dem Infield und wir mussten wieder mit einem Plätzchen weiter hinten Vorlieb nehmen. Nicht nur der Sound insgesamt war ziemlich dünn, sondern vor allem auch Robs Stimme. Keine Ahnung, ob's an den technischen Gegebenheiten lag oder ob nach 50 Jahren Bühnenpräsenz (!) der Ofen langsam mal aus ist. Jedenfalls sind wir etwas enttäuscht zurück ins Camp gewankt und haben den Abend gemütlich ausklingen lassen. Der lange Tag hat sich trotzdem gelohnt!
Freitag
- Am Freitag war Ausschlafen angesagt, erst SPACE CHASER um 15:30 Uhr lockten uns vor die Wasteland-Bühne. Die Band war bestens gelaunt und bei den frischeren Temperaturen ging das Bier auch wieder besser runter. Rundum gelungen!
- Weiter ging's mit SATAN an der Headbangers-Bühne, die bis zuletzt vom großen Zirkuszelt überdacht wurde. Anno 2022 ist man der Witterung ausgesetzt, dafür ist das Areal kräftig gewachsen und bestens ausgestattet mit Getränke-Ständen und Sanitäranlagen. SATAN gaben sich wie immer sympathisch zurückhaltend und überzeugten einfach mit ihren bestens dargebotenen NWoBHM-Hits. Immer ein Genuss!
- Phil Campbell tourt mit seinen Söhnen und einem Sänger und versprach unter dem Titel PHIL CAMPBELL & THE BASTARD SONS ein MOTÖRHEAD-Set auf der Louder-Bühne. Die Stimmung war ganz gut, aber so recht konnten mich die Bandklassiker im amerikanischen Gewand mit Hand im Schritt, gehobenen Mittelfingern und diesem affigen Elvis-Mikro (oder wie nennt man das?) einfach nicht überzeugen. Ganz nett war allerdings die zweite Gitarre, die für einen ordentlich fetten Sound sorgte. Für mich trotzdem kein richtig würdiger Umgang mit Lemmys Song-Erbe.
- Auf dem Rückweg sind wir weitgehend ohne Erwartungen bei MANTAR vorbeispaziert und wurden ziemlich aus den Socken gehauen. Sound glasklar und wahnsinnig laut, das Licht aufs Nötigste reduziertes und eine Mords-Atmosphäre. Hat mich live viel besser abgeholt als auf CD.
- Spaßeshalber haben wir noch die Pause bis zum Beginn von MAMBO KURT ausgesessen. Zugegebenermaßen ziemlich unterhaltsam und höchstens halb so schrecklich, wie ich erwartet hätte – aber der Ruf meines Schlafsacks war letztlich lauter als die Heimorgel.
Samstag
- Der letzte Festivaltag begann genau dort, wo der Freitag für uns geendet hatte: Um vier baten STRIKER an die Headbangers Stage, konnten mich aber nicht recht überzeugen. Zugegebenermaßen hab ich keinen Schimmer, was die Band seit 2014 treibt, aber mir war der Auftritt zu viel Stadion/Glam und zu wenig Power.
- Schnell ein neues Kaltgetränk besorgt und schon ging's weiter mit ATTIC. Mega Auftritt, der eigentlich in die Dunkelheit gehört hätte, aber immerhin ist die Bühne wohl größer als viele andere, die Meister Cagliostro & Co. in der Vergangenheit bespielt haben. Die Bühnendeko bestehend aus viel Holz, Schädeln, Kreuzen und (LED-)Kerzen bringt zusammen mit den Outfits genau das richtige Level an Kauzigkeit ohne zu sehr an der Trash-Grenze zu kratzen. Die Songs sind eh astrein, alles top!
- BRIAN DOWNEY'S ALIVE AND DANGEROUS wären mir um ein Haar komplett entgangen. Der THIN-LIZZY-Drummer hat vor ein paar Jahren einige jüngere Musiker um sich gescharrt, um mit vor allem alten Songs zu touren. In Brians Miene ließen sich die ganze Zeit wenig bis gar keine Emotionen ablesen, aber musikalisch konnte der Auftritt vollends überzeugen. Ganz andere Liga als Phil Campbell am Donnerstag!
- An sich wäre das WOA an dieser Stelle für mich beendet gewesen, aber ich bin dann doch noch mit zu Powerwolf und habe mich einigermaßen positiv überraschen lassen. Es war natürlich wieder mal gerappelt voll, die Songs nach spätestens einem Refrain mitsingbar und unterlegt von einem permanenten Keyboard-Teppich. Aber so eine Riesen-Show mit aufwendigen Kulissen, Effekten und Videoleinwänden ist nun doch ein anderer Schnack als meinetwegen CIRITH UNGOL am Nachmittag. Ne Platte würde ich mir trotzdem nicht in den Schrank stellen, aber bei der feuerspuckenden Kirchenorgel hatten sie mich doch irgendwie am Haken. 😉 Hut ab!
Sonntag: Abfahrt!
Zeit ein Fazit zu ziehen: auch 2022 konnte man sich wieder ein schickes Programm aus Underground und Genre-Größen zusammenzaubern und traf vor den Bühnen oft dieselben Trüffelschweine, so dass sich das Riesen-Festival immer wieder überraschend klein anfühlte. Teilt man den gezahlten Ticket-Preis durch die gesehenen Bands kommt immer noch ein okayer Schnitt raus, aber es fällt schon auf, dass die allgegenwärtige Gewinnmaximierung auch bei WOA-Fans auf Grenzen der Akzeptanz stößt. Das wirkt sich auch aufs Publikum aus: als überraschend alt würde ich den durchschnittlichen Wacken-Besucher beschreiben, aber mit Taschengeld oder BAFöG kommt man hier eben nicht weit.
Losgelöst vom Geld gibt es nach wie vor viel zu sehen und zu erleben. Das ganze Fest fühlt sich an wie ein Metal-Disneyland, aber die gute Stimmung steckt definitiv an und wer so weit hinten campt wie die meisten Mittwochsanreiser, kommt nachts auch wieder gut zur Ruhe. Denn spätestens auf dem Campingplatz gerät der Metal in den Hintergrund, um Platz zu machen für Schlager und „lustige“ Musik, die unbarmherzig aus unzähligen Anlagen ballert.
Fürs nächste Jahr wurden unter anderem schon IRON MAIDEN angekündigt und die Tickets sind bereits weg. Kostenpunkt: 299 Euro. Ich werde das Billing mal im Auge behalten und nächstes Jahr entscheiden, ob ich mir noch mal ein Ticket suche.
(Titelfoto von Andreas Lawen, Fotandi, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)