So recht reißt der Drang bei mir nicht ab, konzertmäßig endlich das nachzuholen, was in den letzten Jahren nicht drin war. Diesmal ging es tief in die Holsteinische Pampa, genauer gesagt nach Hanerau-Hademarschen, das anders als der Name vermuten lässt nicht in der Marsch, sondern in der Geest liegt. So viel zu den geomorphologischen Feinheiten des Nordens, denn tatsächlich hat harter Stahl in die Provinz gelockt: ROSS THE BOSS tourt anlässlich des 25-jährigen Jubläums von „Kings of Metal“, also dem letzten Album, das er damals zusammen mit MANOWAR aufnahm.
Anstatt wie üblich in Hamburg halt zu machen, wählte man für den 12. Mai also Hanerau-Hademarschen, unweit des Dorfes Wacken. Hier veranstaltet nämlich die Crew des ehemaligen Hamburger Ballrooms mittlerweile regelmäßig Konzerte, und zwar im Tanzsaal eines klassischen Landgasthofs. Klingt ziemlich bescheuert – und ist es irgendwie auch, um das gleich vorweg zu nehmen. Die Infrastruktur ist nämlich dünn; einen Bahnhof gibt es zwar, aber für die meisten Besucher kommt nur die Anreise mit dem Pkw infrage. Und vor allem ist nichts weniger Rock'n'Roll als die Location, in der Ilse und Herbert damals goldene Hochzeit gefeiert haben.
Auf der Habenseite wiederum gibt es Pils vom Fass (Abzug in der B-Note: nur Beck's) und natürlich die gute Gelegenheit, vor Ort noch schnell mit den übrigen Gästen am Grillbüffet zu schlemmen. Die Seniorenportion (d.h. man darf den Teller nur 1× am Büffet vollhauen) kam vertretbare 14 Flocken, für die sich jeder sattfressen kann, der nicht allzu viel Wert auf eine ausgewogene Ernährung legt. Für euch getestet: Schnitzel, Lachsfilet, Kartoffelgratin, Bratkartoffeln, Rahmspinat und Soßen – alles top!
Die Abendkasse gab dann noch reichlich Rest-Tickets zum stolzen Preis von 35 Euro her (das ist immerhin 30 Cent günstiger als Manowar damals 2002 in der Kieler Ostseehalle – mein erstes Metal-Konzert 💪🏻), denn der Saal war bestenfalls zu einem Drittel gefüllt. Doch auch hier war übrigens alles vom feinsten, kein 70er-Jahre-Muff, sondern alles frisch saniert, Stuck an der Decke und eine Bühnentechnik, die sich sehen lassen kann.
Musikalisch ging's los mit SAVAGE EXISTENCE aus Costa Rica, die sich irgendwo im Spannungsfeld zwischen SOULFY und späten PANTERA bzw. IN FLAMES bewegten. Musste ich ehrlich gesagt so gar nicht haben, zumal es wirklich brutal laut im Saal war (noch eine Erinnerung an den damaligen MANOWAR-Gig).
Nach einer halben Stunde war der Spuk zum Glück vorrüber (wer bucht eigentlich solche Band-Kombinationen?) und mit SANHEDRIN wurde es endlich heavy. Das New Yorker Trio muss mittlerweile nicht mehr vorgestellt werden und kam gleich zur Sache. Zunächst wirkte der Auftritt eine Spur zu routiniert, doch nach ein paar Songs finden sich zumindest ein, zwei Maniacs im Publikum, die die durchgehend starken Songs mit mehr als wohlwollendem Kopfnicken quittieren und so wurde die Stimmung nach und nach intimer. Ich will es eigentlich nicht extra betonen, aber Erica Stoltz gelingt der Eiertanz, als starke, autentische und niemals peinliche Frontfrau so famos, als wäre es ein Kinderspiel und geht dabei eine ideale Symbiose mit dem eher zurückhaltenden Gitarren-Genius Jeremy Sosville ein. Astrein! Der abgedunkelte Saal trug seinen Teil zum Ambiente bei (kein Vergleich zur Nachmittagssonne 2019 auf dem HOA), sodass die mit Zynismus und unkitschigem Weltschmerz geladenen Songs ihre Wirkung ungehemmt entfalteten. Vibes wie man sie in ähnlicher Form etwa bei THE DEVIL'S BLOOD gespürt hat sind nicht von der Hand zu weisen, zumal die Trio-Besetzung die Intensität noch eine ganze Stufe nach oben schraubt. Starker Auftritt und einer der Live-Momente, an die ich mich noch lange erinnern werde – und der offen gesagt deutlich mehr Applaus verdient hätte.
Denn das Publikum im Landgasthof ist speziell: im eher gesetzten Alter, anfahrtsbedingt überwiegend nüchtern und entweder wenig metalbeleckt oder eben im Gegenteil alte Hasen, die schon so viele Acts vom Bierpilz aus haben kommen und gehen sehen, dass sie schnell nichts mehr umhaut.
Um kurz nach zehn betrat schließlich Maestro Ross (the Boss) Friedmann zusammen mit seiner bestens eingespielten Band die Bühnenbretter. Augenscheinlich hat der alte Redneck sich zuletzt etwas gehen lassen, aber nach 59 Lenzen wollen wir das mal nicht so eng sehen. Viel mehr Grund zur Aufregung sollte sein, dass es am Bühnenrand verdammt leer war und der Funke trotz des zugänglichen Einstiegs mit Blood of the Kings, The Oath und Sign of the Hammer und der charismatischen Rest-Band zunächst so gar nicht überspringen wollte. Erst zur Mitte des Sets hin, mit einer Hochgeschwindigkeitsversion von Wheels of Fire (sicherlich inspiriert von IRON KOBRAs überschnellen Live-Version vom Speedbiker 😉) war das Eis langsam gebrochen und alle Anwesenden traten nach und nach einen Schritt nach vorn.
Das einzige Stück aus Ross’ Solo-Karriere war übrigens Denied by the Cross auf das wohl die meisten hätten verzichten können. Stattdessen verdient der Rausschmeißer Hail and Kill besondere Beachtung, der mit einem bluesigen Intro auf zehn Minuten aufgeblasen wurde, die aber wie im Flug vergingen. Auch SANHEDRIN-Frontperle Erica ließ sich hier noch mal blicken, mit Dosenbier in der Kralle zum Fist raisen unter die Menge gemischt. Lediglich dass SAVAGAGE-EXISTENCE-Sänger Anton Darusso nochmal für ein lebhaftes Gesangsduett auf die Bühne kam, war in Anbetracht seines Grunz-/Kreischstils recht entbehrlich, aber immerhin auch ganz sympathisch.
Mit ziemlich genau einer Stunde wäre meinetwegen noch Luft für ein, zwei Zugaben gewesen, aber Ross versprach stattdessen noch eine ausgedehnte Autogrammstunde. Passt auch, immerhin wurden alle relevanten Kings-of-Metal-Songs gewürdigt und in Anbetracht der längeren Heimfahrt mitsamt munterem Wildwechsel zog ich den rechtzeitigen Aufbruch ohnehin vor.
Ein gemischtes Fazit also; doch die Hauptsache ist, dass zwei von drei Bands voll überzeugten und ich nach einigen Jahren ungeplanter Funkstille sogar mal wieder einen alten Freund traf.