Reingehört XIII

16. Oktober 2022 | #reingehoert #metal #blindguardian #paganaltar #formel1

Auch wenn ich kürzlich noch beklagt habe, zu wenig Zeit zum Musik­hören zu haben, hindert mich das natürlich nicht daran, immer mal wieder neue und alten Alben zu kaufen und auf den stetig wachsenden Noch-zu-hören-Stapel zu legen. 😉 Weiter geht's mit einer neuen Runde Reingehört:

Blind Guardian – Tales from the Twilight World

(Album, 1990)

Davon zu sprechen, dass BLIND GUARDIAN mit der 1990er „Tales from the Twilight World“ ihren Stil gefunden haben, wird der fortwährenden Entwicklung in den Jahrzehnten danach wohl kaum gerecht. Klar ist aber, dass der speedige Heavy Metal weitgehend hinter sich gelassen und fortan größer komponiert wurde – damals noch ohne sich in Kitsch oder Bombast zu verlieren.

Die „Twilight“ gehört zu den unsterblichen Alben der blinden Gardinen, hat bei mir aber aus irgendwelchen Gründen immer ein Schattendasein hinter dem Nachfolger „Somewhere far Beyond“ geführt. Ungewöhnlich für einen vormals pickeligen Pen&Paper-Nerd und auch sachlich völlig zu Unrecht, wie beständige Live-Klassiker wie Traveler in Time, Welcome to Dying oder Lord of the Rings belegen.

Ich behaupte mal, auf „Tales from the Twilight World“ können sich junge wie alte BG-Fans einigen und würde sogar so weit gehen, das Album als einen der unsterblichen Klassiker seines Genres zu bezeichnen. Mehr muss man zu der Scheibe, die ohnehin jeder mal gehört haben dürfte, auch gar nicht schreiben.

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Pagan Altar – Mythical & Magical

(Album, 2006)

Vielleicht stecke ich nicht tief genug in der Materie drin, aber bei PAGAN ALTAR hab ich immer das gefühl dass sie von den noch bzw. wieder aktiven NWoBHM-Bands fast die undergroundigste sind. Dabei liest sich die Diskographie (ebenso wie die Liste ehemaliger Mitglieder) duchaus stattlich.

Als die vielleicht stärkste Veröffentlichung gilt das vorliegende „Mythical & Magical“, das ich mir als Einstieg besorgt habe und dessen Songs bereits zwischen 1977 und 1983 geschrieben wurden. Wer bei dieser Neuafnahme alten Materials an einen lauwarmen Aufguss denkt, liegt aber gänzlich falsch: der Albumtitel ist Programm und so ist „Mythical & Magical“ eine packende Reise in Fantasy-Gefilde – wobei der britische, mit Doom und sogar Folk gespickte Heavy Metal einen komplett anderen Ansatz verfolgt als BLIND GUARDIAN weiter oben. MANILLA ROAD meets ASHBURY, könnte man sagen. Wobei ich mit diesem Vergleich niemanden vom Reinhören abhalten will:

Den nasalen Gesang muss man irgendwie hinnehmen (oder bestenfalls drauf stehen) und auch die Gesamtlänge von satten 65 Minuten mag manchem den Einstieg erschweren. Die Songs sind allerdings immer nachvollziehbar, nie aufgeblasen und damit weit entfernt von der aufgesetzten Komplexität manch junger Epic-Metal-Outputs. Im Gegenteil würde ich sogar nur wenigen Metal-Alben so eine starke immersive Wirkung attestieren wie „Mythical & Magical“. Mal ne Stunde abtauchen ohne von artsy-fartsy Arrangements genervt zu werden? Kopfhörer auf und los!

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Formel 1 – Auf dem Weg nach Oben

(Compilation / Live, 2021)

Über Metal in der damaligen DDR lassen sich buchstäblich Bücher füllen. Aber um es kurz zu machen: FORMEL 1 war damals die einzige Metal-Band, die einen Plattenvertrag beim staatlichen Amiga-Label ergattern und ein volles Live-Album („Live im Stahlwerk“) veröffentlichen durfte. Mit „Auf dem Weg nach Oben“ kann der interessierte Ostmetal-Laie nun aber erstmals nahezu das komplette Wirken der Band auf einen Schlag (bzw. einer Doppel-CD) erwerben.

Hörbar aufbereitet (durch Patrick W. Engel) widmet Tonträger Nummer eins sich den Studioaufnahmen und deckt damit die Jahre 1982 bis 1987 ab. Auffällig ist, dass die ersten Nummern noch recht gediegen sind und sich textlich (verantwortlich war Ghostwriterin Katharina Koch) noch dicht am zeitgenössischen Schlager bewegen und (vermeintliche?) Sorgen der ostdeutschen Jugend aufgreifen: Nur nicht ohne Job auf der Straße stehen, falsche Freunde, Trennung der Eltern oder der Frage, welchen gesellschaftlichen Fußabdruck man als gewöhnlicher Busfahrer (jeder 16-jährige kann relaten) hinterlassen kann. Letztgenannter Song ist immerhin mit flottem Stakkato-Riffing untermalt, ansonsten sind die frühen Songs (abgesehen vom kultigen Willste nich uffstehn) eher bieder.

Spannender wird es mitte der Achtziger, als vermehrt eigene Texte geschrieben werden und kernigere Themen im Mittelpunkt stehen (z.B. Fußball, Knast, jung sein und Party machen). Gleichzeitig wird das musikalische Niveau auf ein höheres Level gehoben, so dass sich die flotten Twin-Gitarren keineswegs vor der britischen Konkurrenz verstecken mussten (Vorbilder dürften vor allem IRON MAIDEN, SAXON & Co. gewesen sein). An die deutschen Texte muss man sich natürlich gewöhnen, aber Highlights wie Der Edelrocker, Letztes Rad am Wagen (geiles Solo!) oder das sack­starke Instrumental Speedway kann man ganz unironisch abfeiern.

CD nummer zwei bringt neben Live-Aufnahmen der CD-1-Nummern auch Mitschnitte von bis dato verschollenen Songs und ein gelungenes Cover von Rime of the Ancient Mariner in sympathischem Fantasie-Englisch. :-) Geil ist auch das verspielte Bass-Solo zu Eddie.

Um es kurz zu machen: „Auf dem Weg nach Oben“ bietet die ultimative Formel-1-Vollbedienung und natürlich einen spannenden Einblick in die damalige Ost-Metal-Szene. Wer es etwas breitgefächerter mag, sollte sich nach dem zeitgenössischen Sampler „Kleeblatt № 22“ (1988) umsehen, wobei nicht alle Bands das hohe Niveau von Formel I halten konnten.

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Titelfoto von Marco Ianna via Pixabay