So, der Pavillon ist getrocknet und der Alkohol- und Fast-Food-Konsum wieder auf ein halbwegs gesundes Maß reduziert; Zeit, das diesjährige HOA Revue passieren zu lassen!
Das wichtigste zuerst: obwohl die Wettervorhersage schauderhafte Flashbacks an das Regen-HOA 2017 weckte, blieben alle Besucher weitgehend trocken. Zwischen den Schauern kam sogar immer mal wieder die Sonne raus und alle Fahrzeuge konnten das Gelände aus eigenem Antrieb verlassen. Da können die Wacken-Besucher dieser Tage nur von träumen.
Donnerstag
Blicken wir den Tatsachen ins Auge: irgendwie sind wir alt und faul geworden, was sich vor allem darin äußert, dass sich Festival-Samstage seit ein paar Jahren Tagen unendlich lang anfühlen. Also haben sich nahezu alle Teilnehmer meiner Reisegruppe dazu entschieden, erst am Donnerstag (statt am Anreise-Mittwoch) nach Brande-Hörnerkirchen zu pilgern. Gut für uns: zumindest eine kleine Vorhut machte sich bereits am Mittwoch in aller Frühe auf, um uns Nachzüglern ein lauschiges Plätzchen in Bühnennähe zu besorgen.
So setzten wir uns sozusagen ins gemachte Nest, inklusive gemietetem Privat-Dixi – da werden wir ab jetzt wohl nicht mehr drauf verzichten. Ich musste nur noch mein Zelt in die nächstbeste Ecke rotzen, den Stuhl aufklappen, die erste Hülse aufreißen und das schwermetallische Wochenende konnte starten; zunächst natürlich mit viel Klönschnack, manche Nasen trifft man schließlich nur einmal Jahr, und zwar genau hier.
Nachdem der „Gastrobereich“ ausgecheckt wurde, wurde ebendort das Ticket durchs Eintrittsbändchen ersetzt. In der Schlange kam es zum ersten (und einzigen mir bekannten) Eklat, als dort irgendein Dude mit oberpeinlichen RAMMSTEIN-Shirt aufschlug (ungefähr dieses Motiv als Front-Aufdruck) und offenbar unerwarteten Gegenwind erfuhr. Ansonsten war die Stimmung die ganze Zeit über wie immer locker bis freundschaftlich.
Wie leider üblich sind wieder einige Acts im Vorfeld abgesprungen (u.a. Stormwarrior, Striker und Fifth Angel), aber die Running Order war natürlich trotzdem gut gefüllt. Übermäßig viel Stress mit Mucke wollte ich mir allerdings eh nicht machen und so verlief der weitere Donnerstag recht gediegen.
METAL WITCH sind vielen Nordlichtern als so eine Art ewige lokale Vorgruppe bekannt und wir erschienen pünktlich zu den letzten zwei, drei Songs. Hat wie immer nicht wehgetan, aber auch keine Begeisterungsstürme losgelöst.
Die Thrasher von TRAITOR hätte ich mir gerne noch angesehen, sind dann aber einer kurzen Siesta meinerseits zum Opfer gefallen. Hmpf. Immerhin, zu HOLY MOSES standen wir wieder in voller Mannstärke vor der Bühne – immerhin war dies eine der letzten Möglichkeiten, die Truppe um Sabina Classen noch mal live zu sehen. Richtig begeistern konnte mich der Auftritt nicht, was aber nur daran liegen dürfte, dass HOLY MOSES nur wenige Alben mit echter Strahlkraft geschrieben haben. Unterhaltsam und recht sympathisch war der Auftritt allemal.
Den Donnerstag beenden sollten SACRED REICH, die für reichlich Stimmung sorgten. Ich fand vor allem die Gesangsperformance überraschend stark – das ist ja oft der Punkt, an dem alte Bands zu schwächeln beginnen.
Freitag
Die Nacht im Zelt war gemütlich und nach einem nahrhaften Frühstück wurde die, ähm, Stimmung für den STEELPREACHER-Auftritt vorbereitet. Pünktlich um zwölf Uhr mittags rief das Blockflöten-Intro vor die Bühne und gab zu erkennen, dass etwaiges Rest-Niveau für die folgende Dreiviertelstunde abzustellen ist – übrigens war diese knappe Stunde genau die richtige Dosis für den bierseligen Heavy Metal, der auf immerhin 21 Jahre und sechs ziemlich starke Alben zurück blickte. Sehr kultiger Abriss, inklusive obligatorischer Bierdusche aus dem 5-Liter-Döschen.
Wir legten direkt eine Pause ein, um uns erst am späten Nachmittag von VULTURE die Falten aus dem Höschen glätten zu lassen. Dem Speedmetal-Kommando um Stefan Castevet eilt völlig zurecht ein Ruf als erstklassiger Live-Act voraus; perfekt durchgestylt und mit unheiligem Stageacting. Ein Schmaus für alle Sinne!
Als nächstes hatte ich bei KATE’s ACID reingelauscht, der Funke sprang bei mir aber so gar nicht über. Also erstmal stärken und zurück am Zelt Blödsinn sabbeln, bis die letzte Band des Abends an der Reihe war: PHIL CAMPBELL & AND THE BASTARD SONS. Meine Kritik vom WOA ’22 gilt nach wie vor: die zahlreich im Set vorhandenen MOTÖRHEAD-Songs sind natürlich über jeden Zweifel erhaben, aber der testosterongetränkte Amerika-Anstrich wird dem britischen Charme eines echten Lemmys einfach nicht gerecht. Aber bei Stimmungsgranaten wie Born to Raise Hell kann man mal ein Auge zudrücken und den gelungenen Tag begießen.
Samstag
Den Auftakt, wieder um 12:00 Uhr, machten die Ost-Berliner von METALL und schlugen sich dabei sehr wacker. Das Material von nach der Re-Union würde ich eher unter „ganz okay“ verbuchen, aber Spaß macht das dicht an JUDAS PRIEST angelehnte Material trotzdem. Sänger Joél Stieve-Dawe (hat der zur Wende schon gelebt?) scheint außerdem ein recht sympathischer Quatschkopf sein. Astrein auch sein öffentlicher Vorwurf, AMBUSH hätten seine geilen Lederhandschuhe gestohlen. Die Schweine!
Glück für uns: da wir letztes Jahr verfrüht abreisen mussten verpassten wir den Auftritt von TYTAN – dachten wir zumindest! Wegen des Verkehrschaos rund um die damalige Elbtunnel-Sperrung kam die Band damals nicht mehr rechtzeitig in Tegelhütters Garten an und so wurde der Auftritt kurzerhand auf Anno 2023 verlegt. Umso größer war die Vorfreude also, das zeitlose Material von der „Rough Justice“ endlich wieder live zu erleben. Flennen musste ich im Gegensatz zu Bassist Kevin Riddles zwar nicht (waren die Tränen überhaupt echt?), aber NWoBHM-Hits wie Blind Men and Fools und Monkey for Love gehen einfach immer, was vor allem der starken Stimme von Tony Coldham zu verdanken ist.
Noch ne NWoBHM-Band, die ich nicht verpassen wollte: TRESPASS. Nach dem Keep it True las man gerade überschwengliches Feedback (auf YouTube kann man sich selbst überzeugen), gerade in Bezug auf die großartigen Twin-Gitarren. Auf der kleinen dunklen HOA-Bühne wirkte der Auftritt etwas hüftsteif, holte mich musikalisch aber voll ab. Durch die musikalische Nähe zum Blues muss ich den Live-Tipp vielleicht noch mal an Gerd’s Juke Joint weiterreichen. Bei einem weiteren Auftritt im Norden wäre ich definitiv dabei.
Mit JAG PANZER wurde es wieder amerikanisch. Deren aktuelles Album „The Hallowed“ wird ebenfalls gerade hochgelobt und kam live auch nicht zu kurz, inklusive der stimmungsvollen Zwischen-Intros. Mich holen die Songs leider nicht ganz ab (passiert mir häufiger bei US-Powermetal), aber für viele der zahlreichen Anwesenden war dies das Highlight des ganzen Festivals.
Für mich sollte das Highlight erst noch kommen: als letzte Band waren RIOT (heuer ohne angehängtes „V“) an der Reihe und die überzeugten von der ersten Sekunde an. Der perfekte Mix aus Power und Melodie war ein spitzenmäßiger Festival-Abschluss, zumal mit Zugaben nicht gegeizt wurde bis schließlich das traditionelle HOA-Outro die Gäste zurück in die Zelte beförderte. Sehr kultig auch, dass Sänger Todd Michael Hall während der Songs jede Kutte überstreifte, die die tobende Menge ihm hingehalten hat. Auch so eine Aktion, die nur in der Intimität eines Underground-Events funktioniert.
Bestens gelaunt trafen wir uns also auf ein paar letzte Absacker unterm Pavillon und schlummerten ein letztes Mal sanft (und lediglich zu Sonnenaufgang unterbrochen durch eine ebenso fürchterliche wie leider auch geile Intonation von BLIND GUARDIAN’s Valhalla irgendwo auf der Campingfläche) ein.
Wie man zwischen den Zeilen vielleicht herausliest, ist das Fazit mal wieder großartig. Viel Quatsch geredet, tolle Bands gesehen, gut geschlemmt (Highlights: Falafel bzw. Schafskäse im Fladenbrot, Langosch, Softeis (trotz NDH-Hölle aus der dortigen Bluetooth-Box); nett auch: der neue Cocktail-Stand).
Will man das Haar in der Suppe suchen, könnte man die weitgehende Abwesenheit von U60-Musikern auf der Bühne kritisieren. Beim Aufspüren junger Bands hat das Keep it True offenbar den besseren Riecher. Etwas zwiegespalten bin ich wegen der zahlreichen Band-Überschneidungen der beiden Traditions-Festivals. Zählt man die abgesprungenen FIFTH ANGEL mit, kommt man auf ganze sechs Bands, die im April schon in Lauda-Königshofen gespielt haben. Das ist einerseits gut für norddeutsche Banger, andererseits trägt das HOA damit (ganz unnötig) einen Touch von „KIT-für-Arme”.
Aber ist ja auch wurst, nächstes Jahr bin ich eh wieder da. Denn darauf, dass sich zwei handvoll guter Bands in Brande-Hörnerkirchen einfinden, war bisher immer Verlass.
(Titelbild: Vulture, geknipst von Frank Schwichtenberg, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)