Die Idee ist so einfach wie genial: die Bands der eigenen Plattenfirma in die eigene Heimatstadt holen und ein zweitägiges Festival daraus stricken. Und was für eins! Dying Victims Productions bzw. Inhaber Flo hat mit dem Flyer für das zweitägige Dying Victims Attack aus dem Stand eine Menge Staub im Underground aufgewirbelt. Der Vorverkauf lief dementsprechend blendend und das Billing zum Fingerlecken hat auch uns dazu animiert, schnell zuzuschlagen und mal wieder in den Pott zu tingeln.
Freitag
Die Anfahrt mit der Bahn hielt aufgrund von Bauarbeiten zunächst einige Tücken bereit, aber irgendwie haben wir es nach Essen geschafft. „Nett hier!“ hätte ich gerne gedacht, aber naja. 😅 Das Hotel in fußläufiger Distanz zur Konzert-Location war jedenfalls in Ordnung und die Currywurst vorweg wie immer amtlich.
Das Don’t Panic liegt direkt neben dem Café Nord und sollte der Schauplatz des ersten Abends sein. Beim Betreten steht man schon ziemlich direkt vor der Bühne, am seitlich angeordneten Tresen gibt’s Bier vom Fass (und ein paar Schmankerl aus der Flasche); im Obergeschoss sorgt bei Bedarf eine Empore für guten Blick auf das Geschehen vor und auf der Bühne. Das Angebot an Flippern sah ebenfalls appetitanregend aus, aber zum Schutz vor Kaltgetränken waren die Kisten allesamt verrammelt (wohl auch besser so). Aber wir waren ja auch nicht zum Zocken hier:
- Den musikalischen Auftakt machten GALLOWER in feinster VENOM-/SODOM-Manier als Trio mit viel Leder und nackter Haut. Polterndes Schlagzeug, geröhrter Gesang, alles astrein und nur noch übertroffen vom Blasphemer-Cover, stilecht vorgetragen mit roter Henkersmütze.
- EISENHAND drehten anschließend das Kautz-o-Meter auf Anschlag mitsamt Fackeln und brennendem (!) Eisenhandschuh. Nötig hat das Österreichische Heavy-Metal-Kommando derlei Effekthascherei eigentlich nicht, denn das etwas schräge aber super eingängige Album „Fires Within“ hält von sich aus genügend Spannungsbögen bereit. Für mich schon der erste Höhepunkt des Abends.
- Mit BUNKER 66 wurde es auf der Stelle wieder rumpelig, das Trio räubert sehr erfolgreich im angeschwärzten Thrash Metal und weckt in mir immer schöne NOCTURNAL-BREED-Vibes. Bei uns waren für den Moment aber Hunger, Durst und Lust auf einen Klönschnack doch irgendwie stärker, aber der Abriss währenddessen vor der Bühne war natürlich stattlich.
- IRON CURTAIN haben mit unbeschwert rockendem Heavy Metal ebenfalls kräftig abgeräumt. Was mir aus der Konserve immer etwas zu limitiert klingt (was allein am kehligen Gesang liegen dürfte) funktionierte auf der Bühne prächtig und wurde noch gekrönt durch ein zünftiges Metal-Daze-Cover. Saustark!
- Die Meute verschwitzt, der Boden verklebt; ideale Bedingungen für eine würdige Headliner-Show. Vom ersten Ton an ging es kräftig rund – und das, obwohl die IRON-KOBRA-Shows hier in Norddeutschland meist eher geprägt sind von gediegenem Fußwippen und Fist raisen. Das sind wohl die lokalen Unterschiede. 😁 Sei’s drum, die Gelsenkirchener wurden gepflegt abgekultet und verwöhnten die hungrigen Banger im Gegenzug mit allerschwerstem Metall, teilweise unterstützt vom VULTURE-Oberschnurri Stefan an der Gitarre. Eine schöne Geste war das aufrichtige Tribut zu Ehren des verstorbenen Warhammer-Sängers Volker. Das hervorstechendste Highlight dürfte aber der Abriss zur DDR-Metal-Hommage Wut im Bauch gewesen sein. Hammer!
Glückselig und körperlich wie geistig angeschlagen (ähem) fiel ich ins Hotelbett. Wasn Abend!
Samstag
Entsprechend mühsam mussten wir uns schließlich aus den Furzmulden schälen, um den Körper wieder mit Nährstoffen in fester Form zu versorgen. Ein netter Zeitvertreib bis zum Beginn zur Kaffeezeit und eine Empfehlung wert ist der Plattenladen Yeah Records, der in zwei Fußminuten von der Partymeile aus erreicht werden kann.
Im Vorfeld wurde die Werbetrommel für den kleinen Laden gerührt und sicherheitshalber gleich ein ganzer Stapel Hansa-Bierkästen auf DVP-Kosten dort abgestellt. Die zahlende Kundschaft dankte es, die Kasse glühte und der arme Verkäufer wusste gar nicht recht, wie im geschah.
- Dummerweise haben wir die Zeit verpeilt und prompt den SEXMAG-Auftritt verpasst. Immerhin pünktlich zur zweiten Band des Abends, TORONTO, fanden wir uns im Turock ein, das sich direkt neben der Freitagslocation befindet und nicht nur mehr Platz vor der Bühne bietet, sondern auch etwas weniger schäbige Scheißhäuser (der Charme-Award geht trotzdem ans Don’t Panic). Der Speedige Metal wurde äußerst selbstbewusst dargeboten, erscheint in meiner Erinnerung angesichts der starken Konkurrenz aber etwas blass.
- KARLOFF wiederum blieben mit ihrem obskuren Mix aus Black, Punk und Doom wiederum im Ohr und boten mit der düsteren Lichtstimmung samt viel Nebel auch was fürs Auge.
- Rein optisch toppte aber nichts und niemand die Schweden von ARMORY. Nackige Bierbäuche in Lederwesten, (un-)gepflegte Rotzbremsen, Haaransätze jenseits des nördlichen Polarkreises und so manches Maurerdekolleté machten Durst auf Schwermetall der schnellen Sorte. Und der wurde geliefert wie bestellt (nämlich mit einem kräftigen Schuss SciFi) und mit mehr als gepflegtem Hellraisen seitens des Auditoriums goutiert.
- Auf VENATOR freute ich mich im Vorfeld besonders und wurde nicht enttäuscht. Die LP von 2022 ist gespickt mit Ohrwürmern und wurde live mindestens auf Plattenniveau vorgetragen.
- Zugunsten einer weiteren Stärkung verzichteten wir leider auf HEXECUTOR, fanden uns aber pünktlich zu MEGATON SWORD vor der Bühne ein. Mein Verhältnis war im Vorfeld etwas gespalten, weil der quäkige Gesang den Genuss der starken Songs für meinen Geschmack ein wenig schmälert. Live hingegen hatte ich nichts zu mäkeln, also war der Auftritt sogar besser als erwartet. Und die Maniacs in den vorderen Reihen sahen sowieso die ganze Zeit mehr als zufrieden aus.
- Zu später Stunde wurde es noch mal kultig: NOCTURNAL poltern seit mittlerweile über zwanzig Jahren Live und auf Platte und ließen auch heute kein Höschen trocken. Für uns ein würdiger Abschluss, denn um kurz nach neun am nächsen Morgen war Check-Out und Abfahrt angesagt.
Ein Kuriosum will ich nicht unerwähnt lassen: diese angebliche (?) Band aus Estland, die an beiden Abenden in der Innenstadt ihre CDs versucht hat an den Mann oder die Frau zu bringen („Do you speak English?“) – und das mit einer Vehemenz, wie ich sie selbst bei windigen Versicherungsvertretern und Handyhökern noch nicht erlebt habe. Vielleicht handelte es sich um Defrage bzw. Illumenium, so genau hab ich mir die Tonträger nicht angesehen. Aber wir wurden allein sicher zehn, fünfzehn mal angesprochen und mindestens einmal wurde der Ton scharf als wir ablehnten. Sei’s drum, überschatten konnte dies die beiden Abende nicht.
Zeit für ein Fazit, das trotz einiger verpasster Auftritte und sausengelassener After-Show-Party nur erstklassig ausfallen kann: Bands, Locations und Publikum waren top und alles lief smooth, was sicher dem tatkräftigen Anpacken vieler Hände – inklusive bekannter Szene-Gesichter – zu verdanken war. Der Underground lebt trotz Krieg und Seuchen wie eh und je und wenn ich mir für eine Neuauflage was wünschen darf, dann wären das offizielle Fress-Pausen in der Running Order – oder alternativ eben ein weniger hochkarätiges Billing. 😉
Die Schnappschüsse stammen allesamt von Thomas aka Vinylian. Vielen Dank, dass ich sie hier verwenden darf!